Verkehrsplaner entwerfen – Bushaltestellen ebenso wie Strategien. Darf man das so sagen?
Ja, ganz grob trifft das wohl zu. Wir befassen uns mit vier Aspekten der Verkehrsinfrastruktur: Planung, Projektierung, Bau und Betrieb. Als Verkehrsplaner sind wir auch Zukunftsforscher für das «System Mobilität». Dieses definiert, wie wir die Verkehrsleistung gewichten und welchen Verkehr wir damit ernten. Bevor wir etwas entwerfen, müssen Visionen entstehen – nicht einfach technokratisch von Ingenieurinnen und Ingenieuren, sondern gemeinsam mit der Gesellschaft.
Von welchen Zeiträumen sprechen wir dabei?
Genau das ist eine zentrale Herausforderung im Zusammenhang mit dem Verkehr: Die Infrastrukturen haben eine lange Nutzungs- und eine entsprechend lange Wirkungsdauer. Bei Strassen sind es rund 40 Jahre, bei Eisenbahnstrecken sogar 70 Jahre, für die wir eine Kosten-Nutzen-Analyse aufzustellen haben. So weit müssen wir versuchen vorauszublicken und fragen, ob sich eine Infrastruktur für die Gesellschaft lohnt. Zudem ist klar, dass viele Verkehrsinfrastrukturen in Realität über noch viel längere Zeiträume genutzt werden und unseren Lebensraum prägen.
«Als Verkehrsplaner müssen wir uns Gedanken über die Verkehrsgerechtigkeit machen.»
Kann man das, ohne sich auch mit anderen Forschungsgebieten auszutauschen?
Verkehrsplanung ist ein enorm interdisziplinäres Feld. Im Kern geht es natürlich um Verkehrsmodelle, aber wir haben Schnittstellen zur Raumplanung und zu anderen Fachgebieten wie beispielsweise auch zur Soziologie. Ein Beispiel: Unser Gebäudepark entwickelt sich ähnlich langsam wie die Verkehrsinfrastruktur, aber wir wollen immer mehr Quadratmeter für unser persönliches Wohnen. Gleichzeitig hält der Trend zur Reurbanisierung an: Die Leute wollen wieder mehr in der Stadt leben. Das Ergebnis: Wohnraum in der Stadt wird teuer und nicht jeder, der in der Stadt arbeitet, kann es sich leisten, dort zu wohnen.
In Basel hält sich das bisher noch in Grenzen, aber wir bemerken diese Entwicklung, die wir aus grossen Metropolen kennen, auch bei uns. Deswegen müssen wir uns Gedanken über die Verkehrsgerechtigkeit machen. Im Zusammenspiel von Verkehrsplanung, Raumentwicklung, Gesellschaft und Politik müssen wir verträgliche Lösungen finden, damit auch Personen mit niedrigeren Einkommen ihr Leben «verkehrsarm» gestalten oder sich die Mobilität leisten können.
Das klingt nach einer grossen Herausforderung für die nächsten Jahre. Welche weiteren sehen Sie?
Das Thema CO2 wird uns stark beschäftigen. Der Landverkehr allein macht in der Schweiz etwa 30 Prozent des Kohlendioxid-Ausstosses aus. In anderen Bereichen schaffen wir es zu reduzieren, beim Verkehr gelingt uns dies bisher nicht. Die Automobilbranche erzielt zwar massive Fortschritte und hat den Verbrennungsmotor deutlich effizienter gemacht. Aber die Wirkung verpufft, weil immer grössere, schwerere und stärker motorisierte Fahrzeuge für längere Strecken benutzt werden.
Der effektivste Weg, um dies zu ändern, sind aktuell batterieelektrische Autos. Sie sind nicht CO2-neutral, dafür sind die Produktion und Entsorgung plus der Bau und der Unterhalt der Strassen zu aufwendig. Doch sie sind deutlich effizienter als «normale» Autos: Rund 120 Gramm CO2 pro Kilometer im Vergleich zu 250 Gramm.
«Wir haben eine naheliegende Lösung: das Velo.»
Also lösen Elektroautos unsere Probleme?
Nein. Sie helfen bei der CO2-Reduktion, aber brauchen ebenso viel Platz und verursachen genauso viel Stau wie herkömmliche Autos. Zudem müssen wir auch über Energie ganz grundsätzlich sprechen. Auch ein Elektroauto braucht viel zu viel Energie, wenn wir Kurzstrecken betrachten. Doch dafür haben eine naheliegende Lösung: das Velo. Im Jahr 2019 wurden zum Beispiel in Deutschland rund viermal mehr E-Bikes als elektrische Autos verkauft. Nur werden diese noch nicht ausreichend genutzt. Der wichtigste Grund dafür ist die mangelnde Infrastruktur.
Als velotauglich betrachten wir Strecken bis etwa sieben Kilometer. Der Anteil solch kurzer Wege am Verkehrsaufkommen ist in Basel-Stadt etwa gleich gross wie in Baselland. Aber das Potenzial wird in der Stadt etwa doppelt so stark ausgeschöpft. Das liegt an der dort verfügbaren Infrastruktur. Hinzu kommt: In der Stadt konkurriert das Velo mit dem ÖV, in der Agglomeration und auf dem Land eher mit dem Auto. Deswegen haben Investitionen ins Velonetz vor den Toren der Stadt sogar einen noch grösseren Effekt auf den CO2-Ausstoss.
Sie arbeiten aktuell unter anderem an einem «agenten- und aktivitätsbasierten Verkehrsmodell für die 3-Land Region Basel». Was darf man sich darunter genau vorstellen?
Verkehrsmodelle setzen wir seit rund 40 Jahren bis 50 Jahren ein. Sie helfen, Verkehrsmengen zwischen bestimmten Zonen nachzuvollziehen und Szenarien abzuschätzen: Was passiert, wenn man beispielsweise einen neuen Veloweg oder eine neue Autobahn baut? Wie verändert sich das Verhalten der Menschen?
Aktuell zeichnet sich beispielsweise ab, dass wir in Zukunft autonome Fahrzeuge zur Verfügung haben werden. Damit diese nicht viele Leerfahrten verursachen, müssen wir über Ideen wie Carpooling nachdenken. Dafür sind unsere bisherigen Modelle allerdings nicht besonders gut geeignet. Für realistische Prognosen benötigen wir einen Abgleich zwischen Angebot und Nachfrage auf der Ebene einzelner Fahrzeuge. Diese werden durch die agenten- und aktivitätsbasierten Verkehrsmodelle möglich, die wir in unserem Projekt erarbeiten.
Herr Prof. Erath, herzlichen Dank für Ihre Zeit und das Gespräch!
Wir sehen, die Zukunft unserer Städte und der Mobilität unterliegen dynamischen Veränderungen. Innovationen, wie das autonome Fahren werden unser Verhalten in Zukunft prägen. Zugleich zeigt sich, dass traditionelle Verkehrsmittel wie Tram, Bus und Velo und nicht zuletzt die eigenen Füsse hervorragende Fortbewegungsmittel und alles andere als altmodisch sind. Sie leisten eine wichtige Rolle für lebenswerte Städte mit guter Erreichbarkeit.