Das Bauwerk ist ein «Bike Highway» des Basler Start-ups urb-x, oder genauer um eine Teststrecke für solche Express-Velowege, mit der das Unternehmen schon bald Städte in ganz Europa ausrüsten möchte. Wir haben Mitgründer Bálint Csontos direkt vor Ort zum Interview getroffen, um mehr die Vision hinter der Velohochbahn zu erfahren.
Bálint, weshalb wollt ihr so hoch hinaus? Würde es nicht genügen, das bestehende Netz herkömmlicher Velowege besser auszubauen?
Unsere Bike Highways sind dafür gedacht, schnell und weit zu fahren. Das ist ein grosser Paradigmenwechsel. Selbst sogenannte Veloschnellwege am Boden sind heute meist auf Spitzengeschwindigkeiten von 20 km/h ausgelegt. Wir wollen mehr: einen grösseren Pendlerradius und höhere Geschwindigkeiten. Dies erfordert eine spezifische Infrastruktur – so, wie es die Autobahn fürs Auto gibt, muss es fürs Velo eine Velobahn geben, gerade wegen der immer grösseren Verbreitung von E-Bikes. Insgesamt möchten wir mehr Menschen aufs Velo bringen.
Das heisst konkret?
Optimistisch betrachtet schafft man es heute, mit guten Massnahmen den Modalspilt, also den Anteil der Velofahrenden am Gesamtverkehr um einige Prozentpunkte zu erhöhen. Mit einem Umdenken bei den Radwegen wäre aber deutlich mehr machbar.
Denn viele Menschen möchten auf das Velo umsteigen und haben schon ein Velo, das grössere Distanzen ermöglicht, aber sie können das Potenzial nicht ausschöpfen. Wenn ich beispielsweise von Therwil aus mit dem Velo in zehn Minuten ins Kleinbasel pendeln könnte, wäre das gegenüber dem Auto ein enormer Vorteil. Mit der heutigen Infrastruktur handelt es sich dabei aber noch um einen Wunschtraum.
«Kurze Distanzen mit dem Velo am Boden, für die langen Distanzen eine Hochbahn.»
Dann haben die bisherigen Velowege ausgedient?
Nein, wir sehen die Hochbahn nicht als Ersatz für bestehende Velowege. Wir glauben sogar, dass ein noch wesentlich dichteres Netz notwendig wäre. Unsere Hochbahn ist eine Ergänzung dazu. Das Ziel ist es, kurze Distanzen mit dem Velo am Boden zurückzulegen, und für die langen Distanzen eine Hochbahn zu haben.
Kannst du uns ein wenig mehr über die Konstruktion der Velohochbahn verraten?
Heute gibt es im Infrastrukturbau fast ausschliesslich massgeschneiderte Projekte. Das ist aufwendig und teuer. Im Hochbau hingegen hat sich das modulare Bauen längst zur Normalität entwickelt. In Anlehnung daran möchten wir ein fertiges Produkt anbieten, das man direkt verwenden kann.
Dazu gehört ein Fahrbahnelement als Kernstück, sowie ein Tragwerksystem, welches wir entwickelt haben. Die Fahrbahn wird mit einem Spezialbelag beschichtet, der für Velos optimiert ist. Das wird heute oft nicht bedacht: Strassenoberflächen sind vor allem für Autos oder den Fussverkehr ausgelegt, Velos haben etwas andere Anforderungen.
Im Inneren der Tragwerkelemente sieht man viele Kabel und andere technische Komponenten. Wozu sind diese nötig?
Die Fahrbahn kann beheizt werden, um Eisglätte zu verhindern. Die Beleuchtung ist bei unseren Bahnen ebenfalls bereits integriert. Ausserdem gibt es eine umfangreiche Sensorik. Diese dient unter anderem als Basis für ein Verkehrsleitsystem. Gleichzeitig überwacht sie ständig den Zustand der Strecke, um zu steuern, wann geheizt werden muss, wann die Beleuchtung eingeschaltet werden muss oder ob allenfalls ein defektes Element auszutauschen ist.
«Wir produzieren etwa achtmal so viel Strom, wie wir verbrauchen.»
Bedeutet so viel Technik nicht auch viel Stromverbrauch? Ist das noch zeitgemäss?
Die Bahnen sind mit Solarzellen ausgestattet. So produzieren wir etwa achtmal so viel Strom, wie wir verbrauchen. Der überschüssige Strom wird ins Netz eingespeist. Wir halten die Heizung für besonders wichtig: Die Zahl der Velounfälle steigt im Winter an und viele davon sind eine direkte Folge von Strassenglätte. Das lässt sich auf unserer Velohochbahn mit überschaubarem Aufwand verhindern. Wir gehen davon aus, dass Fahrbahnen in unseren Breitgraden etwas mehr als 100 Stunden beheizt werden muss. Nebenbei bemerkt: Bei vielen Brücken ist dies längst der Fall.
Wenn ihr hier schon eine Teststrecke aufgebaut habt – gibt es dann bald auch ein «Projekt Basel»?
Nein, aktuell nicht, ausser der Teststrecke hier auf dem Güterbahnhof Wolf. Unsere potenziellen Kunden sind international, mit einem Fokus auf Europa. Wir stehen für viele Projekte in Abklärungen und können uns auch nicht auf ein einziges fokussieren. Wir sprechen von sehr langen Zeiträumen längst nicht alle Ideen gehen auch in die Umsetzung, deswegen brauchen wir ein breites Portfolio.
Aber wäre Basel nicht ideal geeignet für einen Bike Highway?
Ja, das stimmt, aber das trifft auch auf viele andere Städte zu. Wir sehen das Potenzial praktisch überall, wo ein Übergang von der Agglomeration in die Stadt erfolgt. Aktuell haben wir wöchentlich Anfragen aus deutschen Städten. Erst kürzlich waren übrigens der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann und sein Verkehrsminister Winfried Hermann zu Besuch und sie waren sichtbar begeistert.
Wenn du von einem Fokus auf Europa sprichst, stellt sich die Frage: Würdet ihr für einen Auftrag in einer weiter entfernten Stadt die Teile hier in Basel fertigen?
Wir würden vermutlich selbst produzieren, aber nicht hier in Basel. Unsere Fabrik ist enorm leicht und transportabel, es wäre für uns kein Problem, die Fertigung zu verlegen. Alle wichtigen Bestandteile sind aus Holz, natürlich abgesehen von den technischen Komponenten. Diesen Rohstoff findet man fast überall, insofern könnte man auch den lokal oder regional einkaufen.
Bálint, herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für eure Unternehmung!
Basel, 11.08.2022