Basel, barrierefrei – ein Thema, das uns alle angeht

Für Menschen mit Mobilitätseinschränkung gibt es in Städten viele Hindernisse, die ihnen das Leben erschweren. Was unternimmt Basel, um möglichst wenig solche Hürden zuzulassen?

Barrierefreiheit ist für Menschen mit Behinderung entscheidend, um den öffentlichen Raum nutzen zu können und selbstständig am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Doch vermutlich waren wir alle schon in einer Situation, in der sie von Vorteil war. Zum Beispiel, wenn du mit dem grossen Koffer auf dem Weg in die Ferien bist und zum Bahnhof musst. Dann kommen stufenlose Übergänge an Tramhaltestellen oder Fussgängerstreifen äusserst gelegen. Gleiches gilt für Rampen und Lifte, die du statt einer Treppe nutzen kannst.

Eltern mit Kinderwagen werden dies sicher gern bestätigen, ebenso wie alle Leidgeplagten, die schon einmal mit einem Gipsbein unterwegs waren. Noch einmal wichtiger wird das Thema, wenn wir älter werden. Wir bleiben heute wesentlich länger selbstständig und mobil, doch oft braucht es dann als Hilfsmittel einen Rollator, für den Haltekanten und Treppenabsätze ein nicht zu unterschätzendes Hindernis darstellen.

Unterschiedliche Bedürfnisse bei der Mobilität

«Für 20 Prozent der Basler Bevölkerung ist Barrierefreiheit notwendig. Für 100 Prozent ist sie komfortabel», sagt Adrienne Hungerbühler vom Amt für Mobilität beim Kanton Basel-Stadt. Die diplomierte Raumplanerin ist unter anderem zuständig für die barrierefreie Umgestaltung aller ÖV-Haltestellen (mehr dazu im Interview weiter unten). Sie ergänzt: «Vor allem dürfen wir bei Barrierefreiheit nicht nur an Personen mit Rollstuhl oder Rollator denken, sondern an alle Menschen mit einer Behinderung.»

Für Sehbehinderte beispielsweise gibt es die bekannten Leitlinien am Boden, die mit dem Stock ertastet werden können. Sie weisen an Haltestellen auch den Weg zur vordersten Tür, wo die Chauffeurin oder der Chauffeur Auskunft über die Linie geben kann. Zudem kannst du an Tramhaltestellen einen Knopf drücken und dir vorlesen lassen, was auf dem Display angezeigt wird. Am Boden sorgen Leitlinien für Orientierung. Sie werden auch ausserhalb von Haltestellen an Trottoirüberfahrten oder anderen Haltestellen eingesetzt.

Etwas komplizierter gestaltet es sich, wenn gar kein Trottoir vorhanden ist, das sich mit dem Stock ertasten lässt, wie beispielsweise in der Freien Strasse. «Hier ist der Kanton mit den Behindertenverbänden im intensiven Austausch, um Lösungen zu finden», so Adrienne Hungerbühler.

Barrierefreie Angebote in Basel

Dabei geht es beim Thema Barrierefreiheit um mehr als die Mobilität an sich. Schliesslich sind wir oft nur deshalb unterwegs, weil wir Pläne haben und etwas unternehmen möchten. Welche Angebote in Basel hindernisfrei zugänglich sind, erfährst du in einem speziellen Stadtplan von Pro Infirmis. Hier findest du Cafés, Museen, Kinos, aber auch öffentliche Toiletten und viele weitere hindernisfrei gestaltete Orte. Neubauten sind laut Behindertengleichstellungsgesetz ohnehin barrierefrei zu planen, nach dem Leitgedanken «Bauen für alle». Bestandsgebäude sollen möglichst zügig umgerüstet werden.

Übrigens kannst du dich nicht nur an Land, sondern auch zu Wasser barrierefrei bewegen. So ist der Rhystärn der Basler Personenschifffahrt komplett rollstuhlgängig. Wenn du den Rhein mit der Fähre überqueren möchtest, bist du im St. Johann an der richtigen Adresse. Diverse hindernisfreie Wanderwege gibt es auf SchweizMobil, zum Beispiel den Wiesenweg vom Badischen Bahnhof nach Riehen. Er führt dich in die direkte Nachbarschaft von Hugo Hirschs Spielaue, einem Spielplatz, der speziell auch für Kinder angelegt ist, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Über den idyllischen Burgfeldenpark-Parc-des-Carrières-Weg haben wir dich schon bei seiner Eröffnung hier ausführlich informiert.

Haltestellen als Dreh- und Angelpunkt

Ein wichtiges Element für die Barrierefreiheit im öffentlichen Raum bleiben die Haltestellen, die den Zugang zum öffentlichen Verkehr ermöglichen. Adrienne Hungerbühler spricht im Interview über die aktuelle Situation und die noch notwendigen Massnahmen, um die Haltestellen wie im Behindertengesetz gefordert zu gestalten.

Frau Hungerbühler, können Sie uns bei den barrierefreien Haltestellen auf den aktuellen Stand bringen?

 

 

Aktuell sind 88 % der Tramhaltestellen und 96 % der Bushaltestellen barrierefrei zugänglich. Diese Zahlen schliessen die Möglichkeit mit ein, über eine Klapprampe ins Verkehrsmittel zu gelangen. Streng genommen entspricht dies aber noch nicht den Anforderungen des Behindertengleichstellungsgesetzes. Dieses sieht vor, dass alle Haltestellen, bei denen dies baulich möglich ist, komplett selbstständig benutzbar sind. Die entsprechenden Umbauten hätten bis Anfang dieses Jahres abgeschlossen sein müssen. Dies war Ende 2023 bei 34 % der Tramhaltestellen und 26 % der Bushaltestellen der Fall. Doch mit den Klapprampen haben wir eine Übergangslösung für Orte, an denen eine vollständige Umsetzung zeitlich nicht möglich war.

Das heisst, es bleibt noch einiges zu tun. Wie sieht der weitere Zeitplan aus?

Wir haben schon 2017 erkannt, dass wir nicht alle Haltestellen fristgerecht fertigstellen können. Deswegen haben wir sie in vier Kategorien eingeteilt: sehr hohe, hohe, mittlere und niedrige Priorität. Diejenigen mit sehr hoher Priorität haben wir versucht bis Ende 2023 umzusetzen. Die mit hoher Priorität werden bis spätestens 2026 geplant. Für die mittlere Priorität haben wir uns 2028 als spätesten Zeitpunkt gesetzt, und die Orte mit niedriger Priorität gehen wir an, wenn dort Bautätigkeiten anstehen. Wie gesagt, haben wir mit dem Zugang über eine Klapprampe für beinahe alle Haltestellen eine auch von den Behindertenverbänden akzeptierte Übergangslösung – mit der wir uns aber nicht zufriedengeben.

An «beinahe allen Haltestellen» sagen Sie. Welche Ausnahmen gibt es?

An manchen Orten ist ein schwellenloser Einstieg in Bus oder Tram baulich nicht möglich. Bekannte Beispiele sind die Margarethenbrücke oder die Schifflände, wo gar kein Trottoir vorhanden ist. Seit dem 1. Januar werden in solchen Fällen Ersatz-Rollstuhltaxis angeboten: Betroffene rufen eine nationale Nummer an und melden den Bedarf für die jeweilige Strecke. Dann wird ein Taxi aufgeboten, das den Fahrgast mit einem gültigen ÖV-Ticket kostenlos bis zur nächstgelegenen zugänglichen Haltestelle oder Umsteigepunkt bringt.

Für Umbauten an Haltestellen arbeiten Sie auch mit der BVB zusammen. Wie läuft dies ab?

Wir arbeiten sehr eng und intensiv zusammen.  Ein Beispiel: Zu Beginn konnten wir gar nicht alle Haltestellen umbauen, weil auf den Linien Trams mit zu niedrigen Klapptritten eingesetzt wurden. Doch die BVB und die BLT haben enorm aufs Gas gedrückt und ihre Flotten sehr schnell umgerüstet. Zum Thema Zusammenarbeit sei ergänzt, dass sich schweizweit eine Änderung des Mindsets beobachten lässt.  Wir gehörten gemeinsam mit Baselland zu den Initianten eines Austauschs zwischen den Kantonen. Zu der ersten nationalen Konferenzen erschienen rund 30 Personen, mittlerweile sind es über 200. Das Rad muss nicht in jeder Stadt neu erfunden werden. Wir alle stehen vor den gleichen Herausforderungen und können von den Erfahrungen der anderen profitieren. Mittlerweile sehen die Verantwortlichen aller Kantone ein, dass Barrierefreiheit allen nützt – und es geht spürbar etwas vorwärts.

Frau Hungerbühler, herzlichen Dank für dieses Gespräch.

Basel, 13.05.2024